An die Frankfurter Rundschau

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—Leserbriefe—

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Wenn Staatsanwälte kein Wort über die Verfassung verlieren

FR vom 8. Feb. 2000, Seite 20

Sehr geehrte Damen und Herren!

“Uns ist nichts von Ermittlungen und Anklagen gegen Soldaten und ihre Vorgesetzten bekannt, die sich in diesem Krieg offensichtlicher Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben,” schreibt Roland Roth in seiner Zwischenbilanz einer Prozeßwelle gegen Kosovo-Kriegsgegner. Gelinde gesagt verwundert es mich, daß gegen Unterzeichner des Aufrufs "Verweigert und/ oder desertiert" Anklage erhoben wird. Was haben diese eigentlich "verbrochen", als sie Soldaten dazu aufriefen, keine Bomben über Jugoslawien abzuwerfen? Zweitausend oder mehr Zivilisten wurden von NATO-Bomben getötet. Getötet? Ermordet ist das richtige Wort, zumindest wenn man die Begriffe des Strafgesetzbuches ernst nimmt. Nochmals: Wieso Anklage gegen Unterzeichner besagten Aufrufs? Sie müssten öffentlich belobigt werden, weil sie Straftaten gegen das Leben zu verhindern suchten!

Von den Justizbehörden müsste man annehmen, daß sie wegen dieser Toten von Amts wegen ermitteln: Den Staatsanwälten ist bekannt, daß diese Zivilisten nicht an Schnupfen, sondern an Bomben und Raketen gestorben sind, daß deutsche Soldaten befehlsgemäß daran beteiligt waren. Die Befehlsgeber sind den Staatsanwälten und der Öffentlichkeit wohlbekannt. Es handelt sich um den Kanzler Schröder und den "Verteidigungs"minister Scharping. Bis heute haben diese nicht erklären können, wem mit der wahllosen Ermordung unschuldiger Kinder und Alten, Frauen und Männer geholfen wurde. Wieso mussten Schichtarbeiter in Kraftwerken, Putzfrauen im Belgrader Sender RTS, Frauen und Kinder in einem Überlandbus, Fahrgäste eines international verkehrenden, fahrplanmäßigen Reisezuges, Besucher auf dem Marktplatz in Nis krepieren? Wieso konnten sich Schröder und Scharping eine Kriegsführung anmaßen, bei der hunderte von zivilen Zielen geplant ins Visier tonnenschwerer Bomben genommen wurden? Mit jener Bombe vor 19 Jahren auf dem Oktoberfest wurde Mord begangen. Mit den Splitterbomben auf den Marktplatz von Nis wurde angeblich nur "Kollateralschaden" bewirkt. Nein, auch das war Mord!

"Gleichheit vor dem Recht" verlangt die Verfassung. Aber sollten der Kanzler und sein "Minister für den Krieg" vielleicht doch etwas gleicher sein? Ich habe Anfang Januar Schröder und Scharping wegen des Verdachts auf Mord in mittelbarer Täterschaft bei der Bonner Staatsanwaltschaft angezeigt Ich hatte u. a. gerügt, daß bestimmte zivile Ziele angegriffen wurden, obwohl sie bei bewaffneten Konflikten nach internationalen Konventionen geschützt sind. Die Staatsanwaltschaft scheint vor den Mächtigen in Angststarre verfallen zu sein. Schröder und Scharping hätten, antwortete mir ein Bonner Oberstaatsanwalt, “im Rahmen des ihnen zustehenden politischen Ermessens” gehandelt, als sie Bomben auf zivile Ziele abwerfen ließen. Die Zerstörung des Eisenbahnzuges auf der Brücke von Gredelica, das Kriegsverbrechen an der Brücke von Varvarin (so Die Zeit am 16.12.1999), Splitterbomben auf den Marktplatz von Nis, ja sogar die Bombardierung des Konvois albanischer (!) Flüchtlinge sei “nämlich unter den Gesichtspunkten der §§ 32 ff. StGB bzw. des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands entweder gerechtfertigt oder aber entschuldigt.” Ein Oberstaatsanwalt, von Steuergeldern dafür ausgehalten, daß er Straftaten gegen das Leben verfolgt, hüllt sich stattdessen in die verschlissene Robe schrecklicher Juristen und wischt den Schutz des Lebens von Zivilisten mit “übergesetzlichem entschuldigendem Notstand” beiseite.

Mit freundlichen Grüssen

Wolf Göhring Anlagen: Strafanzeige

Antwort der Staatsanwaltschaft

Kopie: Roland Roth