An die Staatsanwaltschaft

Z.H. Oberstaatsanwalt König
Herbert-Rabius-Strasse 3-5
53225 Bonn

Geschäfts-Nr.: 50 Js 81/00 5. Februar 2001

Ihre Antwort vom 14. 1. 2000 (Eingang 25. 1. 2000) auf meine Strafanzeige vom 3. 1. 2000 gegen Bundeskanzler Schröder und andere sowie Ihre Antwort vom 23. 2. 2000

Sehr geehrte Damen und Herren,

sehr geehrter Herr Oberstaatsanwalt König,

mit Schreiben vom 3. 1. 2000 hatte ich gegen den Bundesverteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Rudolf Scharping, sowie gegen den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Gerhard Schröder, Strafanzeige wegen Mordes in mittelbarer Täterschaft gemäss den §§ 211, 25 Abs. 1 2. Alternative StGB gestellt. Diesbezüglich hatten Sie mir mit Schreiben vom 14. 1. 2000 mitgeteilt, von Massnahmen der Strafverfolgung abzusehen, da das gerügte Verhalten aus Rechtsgründen nicht als Straftat zu bewerten sei. Sie hatten allgemein darauf verwiesen, dass ”alle erkennbaren Fallgestaltungen nämlich unter den Gesichtspunkten der §§32 ff. StGB bzw. des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands entweder gerechtfertigt oder aber entschuldigt” seien.

Mit Schreiben vom 10. 2. 2000 hatte ich Sie um nähere Erläuterungen gebeten, in welchen der von mir genannten Fälle der Tötung von Zivilpersonen mit gemeingefährlichen Mittel entweder der Rechtfertigungsgrund aus den §§ 32 ff. StGB oder aber der Entschuldigungsgrund des übergesetzlichen rechtfertigenden Notstands gegeben sei. Ich habe hierzu seither keinerlei sachdienlichen Hinweise von Ihnen erhalten. Ich betone hiermit nochmals, dass sich aus meiner Sicht die von mir Beschuldigten des Mordes in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht haben. Ich hatte bereits in der Strafanzeige vom 3. 1. 2000 dargelegt, dass eine Rechtfertigung unter keinem Gesichtspunkt zum Tragen kommt. Ich bin auch der Auffassung, dass sich die Beschuldigten zum Vorliegen von Rechtfertigungsgründen hätten äussern müssen und dies nicht im Wege der Vorwegnahme durch Sie hätte erfolgen dürfen.

Letztlich trifft aber auch die von Ihnen im Schreiben vom 14. 1. 2000 gewählte Argumentation, der gegen Jugoslawien geführte Krieg sei gerechtfertigt gewesen, nicht zu. Ihnen dürfte bekannt sein, dass die Diskussion, ob ein Rechtfertigungsgrund für den Krieg gegen Jugoslawien vorlag, auch unter Juristen kontrovers geführt wurde. Nach meiner Kenntnis sind in der Zeitschrift für Rechtspolitik von verschiedenen namhaften Professoren und anderen Juristen Veröffentlichungen erschienen, die teilweise die Rechtswidrigkeit des Krieges gegen Jugoslawien feststellen.

In diesem Zusammenhang verweise ich auf das auf die Sitzung vom 2. 3. 2000 ergangene Urteil des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten, in welchem folgendes festgestellt wurde:

2. Der Einsatz des Bundeswehr gegen die Bundesrepublik Jugoslawien war objektiv rechtswidrig, da er dem geltenden Völkerrecht zuwider lief.”

Das Amtsgericht Tiergarten stellt insbesondere fest, dass ein Fall der kollektiven Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta nicht vorlag, da die Bundesrepublik Jugoslawien keinen bewaffneten Angriff gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen geführt hat. Das Amtsgericht Tiergarten führt weiter aus:

Der Krieg gegen Jugoslawien war auch nicht durch ungeschriebens völkerrechtliches Gewohnheitsrecht gedeckt. Soweit versucht wird, den Einsatz mit der Untätigkeit oder auch Unfähigkeit des UN-Sicherheitsrates zur Einleitung von Massnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta zu rechtfertigen, fehlt es bereits an den tatsächlichen Voraussetzungen des behaupteten Rechtfertigungsgrundes.”

Letztlich bezieht sich das Amtsgericht Tiergarten insbesondere auf die von Ihnen gewählte Argumentation, es läge ein Fall der Nothilfe vor, wenn es ausführt:

“Der Rechtfertigungsgrund der Nothilfe greift ebenfalls nicht ein. - Nach der Einschätzung, die den Regelungen der UN-Charta zugrunde liegt, fällt vielmehr entscheidend ins Gewicht, dass Kriegseinsätze ‘mit welcher Motivation auch immer’ nicht mehr im Widerspruch zu den mächtigsten, über Massenvernichtungsmittel verfügenden Staaten der Erde geführt werden dürfen, mögen diese Staaten auch politisch und menschenrechtlich nicht billigenswerte Ziele verfolgen.”

Entgegen der Auffassung in Ihrem Schreiben vom 14. 1. 2000 liegt damit keinesfalls ein Fall von Notlage vor, die eine Kriegsführung gegen die Bundesrepublik Jugoslawien durch die mittelbaren Täter, den Bundeskanzler Schröder und den Bundesverteidigungsminister Scharping rechtfertigen würde.

Was die öffentlichen Äusserungen der Beschuldigten zu dem Krieg gegen Jugoslawien anbetrifft, so ist auf journalistische Ermittlungen zu verweisen, die der Westdeutsche Rundfunk am 8. Februar 2001 gegen 21.45 Uhr unter dem Titel “Es begann mit einer Lüge” ausstrahlen wird. In der Voranankündigung heisst auf Internet-Seiten des WDR: Heute sagt Norma Brown, enge Mitarbeiterin von OSZE-Chef William Walker: Die humanitäre Katastrophe im Kosovo gab es erst durch die NATO-Luftangriffe. Dass diese die Katastrophe auslösen würde, wussten alle bei der NATO, der OSZE und bei unserer Beobachter-Gruppe. ‘Der Krieg im Kosovo - geführt im Namen der Menschlichkeit’ begann mit einer Lüge.” (http://www.lernzeit.de/themen/sendungen/dok/dok080201_inhalt.phtml sowie http://dyninet.wdr.de/inetepg/ObjekteZurSendung.asp?Sendung=683620&bookmark=http)

Desweiteren wird in einem “Generalbericht” der Parlamentarischen Versammlung der NATO vom Dezember 2000 über “Die Folgen des Kosovo-Konfliktes und seine Auswirkungen auf Konfliktprävention und Krisenmanagement laut einem Aufsatz von Dieter S. Lutz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ Nr. 292 v. 15. Dezember 2000, Seite 47) folgendes ausgesagt: “So nutzte die UCK das Holbrooke-Milosevic-Abkommen als Atempause, um ihre Kräfte nach den Rückschlägen des Sommers zu verstärken und neu zu gruppieren. Die serbischen Repressionen liessen unter dem Einfluss der KVM (Kosovo Verification Mission der OSZE) in der Zeit von Oktober bis Dezember 1998 nach. Dagegen fehlte es an effektiven Massnahmen zur Eindämmung der UCK, die weiterhin in den USA und Westeuropa ‘insbesondere Deutschland und der Schweiz’ Spenden sammeln, Rekruten werben und Waffen über die albanische Grenze schmuggeln konnte. So nahmen die Angriffe der UCK auf serbische Sicherheitskräfte und Zivilisten ab Dezember 1998 stark zu. Der Konflikt eskalierte neuerlich, um eine humanitäre Krise zu erzeugen, welche die NATO zur Intervention bewegen würde."

Dies deutet daraufhin, “dass die für den Einsatz der Bundeswehr Verantwortlichen im Rahmen des ihnen zustehenden politischen Ermessens zusammen mit ihren Bündnispartnern” nicht “in dem Bestreben gehandelt haben, eine völker- und menschenrechtswidrige Unterdrückung und Vertreibung der Kosovo-Albaner abzuwenden und zu beenden,” wie Sie es gegenteilig in Ihrem Schreiben vom 14. 1. 2000 dargestellt haben. Ich muss davon ausgehen, dass die Beschuldigten kraft ihres Amtes alle Mittel nutzten, um den strafrechtlichen Sachverhalt ihrer geplanten und mit der Kriegsführung schliesslich begangenen Straftaten zu verdunkeln. Ich bitte Sie, dem nachzugehen.

Die in meiner Anzeige vom 3. 1. 2000 genannten rechtswidrigen Tötungen von Zivilisten ergänze ich hier um drei namentliche Fälle, in denen jeweils ein Kind umgebracht worden ist.

Milica Rakic, geb. 1996, getötet am 17. 4. 1999 gegen 21.30 Uhr in der elterlichen Wohnung in Batajnica (nahe Belgrad), Strasse Dimitrja Lacareva-Rase. Das etwa vierjährige Kleinkind (Mädchen) wurde bestialisch getötet, als es in der elterlichen Wohnung auf dem Töpfchen seine Notdurft verrichtete. Von diesem, die Notdurft verrichtenden Kleinkind ist keinerlei Gefahr für die weit über 100 km entfernte Region des Kosovo ausgegangen. Es ist durch den Einsatz eines gemeingefährlichen Mittels umgebracht worden, dessen Zweck darin besteht, durch die Explosion schwere und weitreichende Schäden anzurichten, die im einzelnen durch nichts und niemanden zu kontrollieren sind. Der Mord an diesem Kleinkind ist aus meiner Sicht weder durch die §§32 ff StGB noch durch übergesetzlichen rechtfertigenden Notstand zu rechtfertigen oder zu entschuldigen.

Sanja Milenkovic, geb am 30. 11. 1983 in Krusevac. Getötet am 30. 5. 1999 in Varvarin um 13.10 Uhr, als sie dort in der sonntäglichen Mittagszeit einen Spaziergang machte. Sie wurde auf einer kleinen Brücke bei der Kleinstadt Varvarin getroffen, als diese Brücke zweifach von NATO-Bombern beschossen wurde. Varvarin war entfernt von militärischen Einrichtungen und Kampfzonen. Das Mädchen war von seiner Mutter in diese Kleinstadt geschickt worden, da die Mutter es dort sicherer wähnte als in Belgrad, wo das hochbegabte Mädchen das “Mathematische Gymnasium” besuchte. Es wurde Opfer eines Bombenanschlags auf die Brücke, der von einem Piloten eines NATO-Flugzeugs ausgelöst wurde. In der Öffentlichkeit wird dieses Bombardement als Kriegsverbrechen angesehen (Die Zeit, Nr. 51, 16. Dezember 1999). Von dem 15-jährigen Kind ging keinerlei Gefahr aus, das den Einsatz irgendeines Gewaltmittels hätte rechtfertigen oder entschuldigen können.

Bojana Toskovic, geb. 1998 in Merdare. Das kleine Mädchen wurde in der Nacht vom 10. auf den 11. 4. 1999 in den Armen seines Vaters in der elterlichen Wohnung zusammen mit seinem Vater umgebracht. Seine schwangere Mutter überlebte das Verbrechen. Dass von diesem Kleinstkind eine Gefahr für albanische Kosovaren ausgegangen wäre, die den Einsatz eines gemeingefährlichen Mittels aus den §§ 32 ff StGB oder gar aus übergesetzlichem entschuldigenden Notstand rechtfertigt oder entschuldigt hätte, wird kein der Rechtsordnung Verpflichteter behaupten können.

Beachtet man, dass nach den journalistischen Recherchen und den Feststellungen der Parlamentarischen Versammlung der NATO die angebliche humanitäre Notlage gar nicht in der Weise bestand, wie sie zur Rechtfertigung der mörderischen Bombardements herangezogen worden war, so muss der Tod dieser drei Kinder (Mädchen) umso mehr als eine strafbare Handlung im Sinne der §§ 211, 25 Abs. 1 2. Alternative StGB angesehen werden.

In den hier genannten Fällen a), b) und c) wurde gegen Art. XXV der Haager Landkriegsordnung vom 29. Juli 1899 vorstossen. (Wortlaut auf englisch: The attack or bombardment of towns, villages, habitations or buildings which are not defnded, is prohibited.)

Bereits in der Strafanzeige vom 3. 1. 2000 hatte ich auf den Tod von weit über Hundert Zivilisten verwiesen, den sich die Beschuldigten zurechnen lassen müssen. Insgesamt sind durch die Kriegshandlungen der Bundesrepublik Deutschland im Verein mit anderen NATO-Staaten etwa 2000 Zivilisten getötet worden, darunter fast 800 Kinder und Jugendliche. Die Umstände des Todes von dreien dieser Kinder, die durch den vorsätzlichen und international verbotenen Einsatz gemeingefährlicher Mittel starben, habe ich oben ergänzend dargestellt.

Ich bitte im Hinblick auf meinen Vortrag erneut um die Aufnahme von Strafverfolgungsmassnahmen gegen die Beschuldigten. Ich bin der Auffassung, dass die Beschuldigten mit den beschriebenen Tötungen Straftaten begangen haben, die eine Ermittlung der Staatsanwaltschaft zur Folge haben müssen.

Mit freundlichen Grüssen

Wolf Göhring